18.02.2002
zwei mal ans Ende der Welt
Hallo miteinander
Ja, lange ist's her, dass ich euch das letzte Mal geschrieben habe.
Inzwischen bin ich weit gekommen und habe viel erlebt, aber viel zu viel um
nun alles niederzuschreiben. Folgendes kann ich euch zum Lesen anbieten:
2 Monate suedwaerts
unsere Reiseroute (fuer diejenigen, die einen Atlas zur Hand nehmen
wollen)
Die Faehre von Quellon nach Chaiten
(Eine Kurzgeschichte aus der Feder von Philippe, meinem treuen und teurem
Reisegefaehrten)
Carretera Austral - Ueber Konversation am Ende der Welt.
Auf dass diese Geschichte so zu stehen kam, bin (auch) ich zugegebenermassen
etwas stolz, denn Philippe und ich haben sie in einer der kurzweiligsten und
kreativeren E-Mail-Sessions in diesen Laendern gemeinsam in Worte gefasst.
Ushaia, ein zweites Mal am Ende der Welt und wie es weitergeht
2 Monate suedwaerts
Santiago - Ushaia, eine fast 2monatige Reise, viele Stunden im Bus oder auf
anderen Fahrzeugen, 5 mal haben wir die Grenze Chile-Argentinien ueberquert,
6 mal bin ich auf dem Internet gewesen, auf vielen, verschiedenen Matrazen
habe ich geschlafen, doch oft auch im Zelt und Schlafsack uebernachtet und
einige Kilometer haben wir zu Fuss zurueckgelegt.
Patagonien und Tierra del Fuego nennen sich diese Gegenden. Sie sind mehr
als nur "eine Reise wert". Es faellt mir schwer, einzelne Highlight
herauszupicken, denn dieser Abschnitt ist ein Ganzes. Aber jedem, der sich so weit in
den Sueden wagt, rate ich ein Zelt und die noetige Ausruestung mitzunehmen,
denn nur so kann man das wahre Patagonien erleben.
unsere Reiseroute
Santiago - Villarica
ueber Puerto Fui nach San Martin de los Andes (Arg.)
Wanderung am Huahumpass
7 Lagos - Barriloche (Arg.)
Trekking im Nahuel Haupi Nationalpark
zurueck nach Chile --> Insel Chiloe
mit der Faehre nach Chaiten
Carretera Austral
Abstecher zur Laguna San Rafael
Carretera Austral bis nach Villa O'Higgins
mit Schiff, Pferden und zu Fuss ueber die Grenze nach El Chalten (Arg.)
Trekking im Los Glaciares Nationalpark (Fitz-Roy)
El Calafate - Perito Moreno Gletscher
Trekking im Torres del Paine Nationalpark
Puerto Natales - Punta Arenas
Trekking auf Tierra del Fuego (Paso Beban)
Ushaia, Fin del Mundo (Arg.)
Chaos in Chile: Die Faehre von Quellon nach Chaiten
Es gibt pro Woche etwa 2 Faehren von Quellon ins
3000-Seelendorf Chaiten, eine von der Gesellschaft
NAVIMAG, und eine von der Gesellschaft TRANSMARCHILAY.
- (Ich) Guten Tag. Wir rufen Sie an um zu fragen, wann
die Faehre von Quellon zu Ihnen nach Chaiten faehrt.
-- ... die Faehre... ja, Moment mal...
- Sie sind doch TRANSMARCHILAY, die
Faehrenunternehmung, und ich spreche doch mit dem
Buero in Chaiten, ja...?
-- Jaja, nur... ich muss mal nachfragen, Moement.
Musik.
Pause.
- Hallo?
-- Jaja, ich kann das nicht sagen... im Moment.
- Wissen sie es nicht?
-- Es faehrt keine Faehre.
- Aber... in unseren Informationen steht, dass Sie
diese Strecke bedienen, stimmt das denn nicht
mehr...?
-- Doch, doch, das ist schon so, aber wie ich ihnen
schon sagte, im Moemnt weiss ich nicht genau...
- Wissen sie es nicht, oder faehrt keine Faehre?
-- Es gibt keine, bzw. ich kann es ihnen nicht sagen.
- Wer kann mir das sagen?
-- Ich weiss es nicht.
- Aber ich rede doch mit TRANSMARCHILAY in CHAITEN und
frage, wann die Faehre von TRANSMARCHILAY nach
CHAITEN faehrt. Wer kann mir helfen wenn nicht sie?
-- ...Ja, rufen sie doch mal bei der Konkurrenz, bei
NAVIMAG an. Ich gebe ihnen die Nummer.
- Ich weiss, dass die NAVIMAG Faehre am Freitag
faehrt, aber ich will herausfinden, wann die
TRANSMARCHILAY Faehre faehrt!
-- Wir haben keine Faehre mehr.
- O.K. ... Sie haben keine Faehre mehr.
-- Nein.
Nicht danach fragend, was denn die
Existenzberechtigung des Faehrenangestellten im
3000-Seelendorf mit 1 Faehre die Woche von Quellon
nach Chaiten ist, bedanke ich mich und lege auf. Das
Ende unseres 7. Anrufes mit dem Ziel den Abfahrtstag
der Faehre herauszufinden.
3 Tage spaeter treffen wir 2 andere Schweizer, die mit
Faehre von Quellon nach Chaiten gingen, mit der von
TRANSMARCHILAY, am Sonntag, um 1200h.
(Und all denen die so etwas kaum glauben koennen, die
sitzen im gleichen Boot wie die
Telefongesellschaftsangestellte, die dem Gespraech
zuhoerte und ihren Ohren ebensowenig glaubte...)
Carretera Austral - gemeinsame Reise ans Ende der Welt
Carretera Austral: Pinochets Strasse ans Ende der
Welt. Mehr als 1000 km ungeteert ins Nichts. Vorbei an
Gruen, vorbei an Bergen, Seen, Waeldern. Begleitet von
stets 5fach verdrahteten Schafszaeunen, wer weiss, wer
ihn geschaffen, wer weiss, wozu; begleitet von ewig
monoton sich dahinziehenden Telefonmaesten mit ihren
durchhaengenden Draehten, ins nirgends fuehrend, kaum
je gebraucht.
Wir kommen langsam voran. Kilometer um Kilometer,
gequaelt vom Holpern der schaebigen Ueberlandbusse und
den mal dreckig, mal unbequemen Ladeflaechen der
Pickups mitleidiger autostoepplerfreundlichen
Chilenen.
Herausforderung der Traumstrasse in den Sueden.
Chaiten, km 53.“Where are you from?” fragt uns ein
Israeli mit einem nationalitaetentypisch verhuellten
Riesenrucksack; einer der vielen, die ihre
Nachmilitaerdienstzeit im Ausland ausleben. “Where are
you going next?” - “Where have you been?”
... Eine Konversation…? Nein, eher nur Fragen. Ist ja
klar: er wollte ja nur wissen wo das billigste Hostel
ist.
Villa Sta Lucia, km 356. “Where are you from?” ...
“Ah, au Schwiizer”. Einer mehr unter den vielen
strampelnden Schweizer, die sich der Herausforderung
dieser Strasse mit den Leiden des unermuedlich
kaempfenden Velofahrers unterwerfen. “Wo sind ihr scho
gsi?” - “Wohii goender?”
... Eine Konversation…? Schon eher, aber ist ja klar:
er war froh wieder mal Schweizerdeutsch zu sprechen.
Puyuguapi, km 478. “De donde son?” fragt uns der
beleibte, unrasierte chilenische Hospedajebesitzer.
“Ah Suiza, se parece mucho a Patagonia, verdad?“, kaut
er die Antworten frueherer Touristen freundlichst
wieder. “A donde van?” - “Donde fueron?”
... Eine Konversation…? Nein, wieder nur Fragen. Ist
ja klar: er wollte uns sein Hostel anbieten.
Coyhaique, km 582. “Where are you from?” fragt uns ein
ein ruestiger Amerikaner, der seine aus den Staaten
durchorganisierte 2000USD Ferienwoche hinter sich
bringt, und fuer den Swaziland und Schweden schon
immer schwer zu unterscheiden waren. Eine Rolle spielt
die Antwort wahrlich nicht. Und mehr Fragen stellt ein
Amerikaner nicht, Konversation ist Einbahnverkehr mit
Park- und Ruckwaertsfahrverbot, denn ist ja klar: Er
wollte nur sagen: “It’s just great, the best of the
world…”
Cochrane, km 827. “De donde son?” fragt uns die
turnschuhtragende, schlafsacklose,
alphabetverabscheuende Japanerin mit perfekter aber
gehemmt eingesetzter Spanischgrammatik. “A donde van?”
- “Donde fueron?”
... Eine Konversation...? Nein, nur Fragen, die
Verlangen aeussern. Ist ja klar: Sie suchte
Reisegschpaenli.
Villa O’Higgins, km 1193, Ende der Strasse, Ende der
Welt. Endlich am Ziel, 2 Bus-Tagesreisen weit weg vom
letzten Supermarkt, eine Bus-Tagesreise zum naechsten
Dorf, zum naechsten Restaurant. Dort, wo letztes Jahr
mit der Strasse das Telefon ankam, das von den wenigen
Eingewanderten aus Coyhaique fuer die Einheimischen
bedient wird. Dort, wo Distanzen noch in Pferdestunden
angegeben werden. Dort, wo die wahren Mate-trinkenden
Gauchos in Winternaechten noch bis heute nach
Argentinien zum Laemmerraub reiten. Dort, wo
staatlicher Arzt, Bank und Notar die monatlichen 2
Stunden Zeit haben, bis zum Start des Rueckflugs. 2
Telefons, 7 Autos, 20 Carabinieros, 400 Einwohner
ueber die Gemeinde verteilt bis zu 11 Pferdestunden
weit weg.
Auf der Municipalidad begegnen wir Lorena. - Ein
kurzer Blick, Stille. Keine Frage. Der Anfang einer
Konversation. Ist ja klar, sie will nichts von uns,
sie bietet nur an: Gastfreundschaft.
Die naechsten 3 Tage verbringen wir in ihrem 2-Zimmer
Haus.
Es entstand Konversation. Gute Konversation.
Ushaia, ein zweites Mal am Ende der Welt
Ushaia, die suedlichste Stadt der Welt. Weiter suedwarts liegt Puerto
Williams, das Kap Horn und dann kommt schon die Antarktis. Klar, auch da koennte
man hin. Und bestimmt waere es wunderschoen... (und alles eine Frage des
Geldes), doch fuer uns bleibt vorerst Ushaia der suedlichste Punkt, das zweite Ende
der Welt.
Weiter suedlich geht meine Reise nicht mehr und hier endet auch die
gemeinsame Zeit mit Philippe. Es gilt Abschied zu nehmen... von zwei
ausserordentlichen Reisemonaten.
Nun geht es wieder nordwaerts, Bolivien und Peru heissen meine naechsten
Ziele. Es beginnt ein weiterer, neuer Abschnitt meiner Reise, auf den ich mich
freue.
Herzlichen Dank allen, die mir geschrieben haben, trotzdem die Antworten zum Teil ausblieben.
Macht es gut und geniesst eure Zeit
liebe Gruesse
Andreas
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